Der Unterschied in der Mentalität zwischen Südamerika und Europa
Ich muss lernen zu verstehen
Ich schreibe diese Zeilen für mich und erst zweitrangig für Leser, die die gleichen Herausforderung haben….
Ich muss lernen mit den Vor- und Nachteilen der Latino-Mentalität umzugehen. Ich muss lernen, meine Erwartungen auf die Besonderheiten in Lateinamerika anzupassen, gleich welcher Person. Ich mache immer wieder den Fehler, für mich selbstverständliche Annahmen, die auf dem europäischen Kontinent gewohnte Anwendung finden, als Erwartungsgrundlage in Südamerika zu nutzen.
Ich liebe die Menschen hier, ihre Freundlichkeit, ihre Gelassenheit, ihre Gastfreundschaft, aber ich habe auch ständig mit der unterschiedlichen Mentalität zu kämpfen. Versteht mich nicht falsch, es ist keine Kritik an den Menschen in Südamerika, es ist eine Kritik an mich selbst, es nun endlich zu verstehen.
Meine Tür zur südamerikanischen Mentalität
Diese Tür symbolisiert für mich das unterschiedliche Mentalitäts-Verständnis zwischen entwickelten Ländern und Südamerika, unabhängig vom monetären, sozialen oder Bildungsstatus einer Person.
Die Tür ist die Eingangstür zu unserer Sprachschule im historischen Zentrum von Quito / Ecuador. Mein Freund Eugenio ist Direktor der Schule, er ist Ecuadorianer. Er hat mehrere Ingenieurtitel, ist sehr gebildet, schätzt Ordnung und gehört der Mittelschicht an.
Eines Tages beschließt er von einem Angestellten die Eingangstür der Schule streichen zu lassen. Nach getaner Arbeit wird die Tür ca. 15 Minuten von ihm und zwei weiteren Angestellten und dem Mitarbeiter, der die Tür gestrichen hat, begutachtet. Es wird festgestellt, dass auf die alten Schrauben silberne Farbe aufzutragen ist.
Keiner sieht das in Augenhöhe ca. 5 cm große Loch, das mit einem spitzen Gegenstand von Hand in die Tür geschnitzt wurde. Keiner sieht die großen, umgebogenen Nägel, die bedeutungslos sich um das Loch der Tür anordnen. Selbst nach dem ich ihn, aus meiner heute falschen Sichtweise, auf diesen Umstand aufmerksam mache, empfindet er dies nicht als störend und alles bleibt wie es ist.
Der Leuchtturm von Sant Lorenzo
Der Leuchtturm liegt auf einer ca. 150 Meter hohen Klippe direkt am Meer und ca. 500 Meter vom Dorf entfernt. Zwei Wege führen zum Leuchtturm.
Der erste anstrengende Weg geht direkt vom Meer über eine Treppe zum Leuchtturm.
Der zweite Weg kommt über eine sehr schlechte Zufahrtsstraße (Feldweg), die bis zu einer Höhe von ca. 100 Metern über NN und an einem Parkplatz endet. Von dort sind es nur noch 50 Höhenmeter.
In Europa würde die Mehrheit der Besucher am Strand spazieren gehen, dem Geräusch der Wellen lauschen und dann langsam den ersten Weg direkt vom Meer nutzen.
Meine Beobachtungen hier 80 % der Besucher (ich spreche nicht von älteren Menschen oder vulnerablen Menschen) nutzen das Auto. Sie fahren den Umweg um außerhalb des Dorfes zu kommen, nutzen den Feldweg und kommen mit lautstarker Musik auf dem Parkplatz an. Von dieser Gruppe gehen dann nur 80 % die letzten 50 Höhenmeter zu Fuß.
Berufsausbildung
Handwerkliche Berufe haben hier keine tiefere berufliche Ausbildung. Ist es der Klempner, der Fleischer, Hotelservice, Fachverkäufer oder der Automechaniker. Die Inhaber werden als „Meistro“ angesprochen. … Praktisch ist jeder beruflich das, was er gerade macht. Wer gerade an Autos schraubt ist Mechaniker. Es ist wichtig zu verstehen, dass es liebe Menschen sind, die aus ihrem Herzen heraus ihrer Arbeit nachgehen… aber Abschlüsse oder tiefere theoretische Grundlagen gibt es nur selten.
Das Spezialgeschäft, das LED-Einsätze für Fahrzeugscheinwerfer verkauft und diese vor Ort auf der Straße auch einbaut hat Erfahrung, wie man einen LED-Leuchtmitteleinsatz in einem Fahrzeug zum Leuchten bringt. Von Scheinwerfereinstellungen oder Leuchtwinkel hat man noch nie etwas gehört. … und es interessiert auch niemanden.
Auch diese Besonderheit hat zwei Seiten. Die, die es sich leisten können, haben ihre Autos, für kleines Geld, seit Jahren auf LED umgerüstet. In Deutschland ist es erst seit kurzem möglich, Halogenglühbirnen gegen die 4x helleren und teuren LED zu wechseln, weil das Leuchtmittel eine Zulassung für jeden speziellen Scheinwerfer in Europa braucht.
Das Café, wo es keinen Kaffee gibt – Verhältnis Chef zu Angestellter
San Lorenzo, eine kleines Fischerdörfchen mit dem oben bereits erwähnten Leuchtturm und einem tollem Strand. Besonders am Wochenende kommen hunderte einheimische Touristen zum baden. Direkt am Strand verläuft die Dorfstraße, auf der einen Seite das Meer auf der anderen Seite „Restaurants“ und mein Café. Äußerlich einladend zu einem Kaffee und Kuchen. Zweimal im Abstand von ca. 5 Monaten habe ich versucht einen Kaffee zu bestellen, aber leider haben sie keinen Kaffee.
Das Restaurant verfügt über eine hochwertige und professionelle Kaffeemaschine aus Edelstahl, die mit Kapseln aus Extract bestückt wird. Leider haben sie keine Kapseln gerade und ohne Kapseln kein Kaffee. Nicht, dass es keine Kapseln zu kaufen gäbe, nein, sie müssen nur im Nachbarort gekauft werden. Man könnte auch die einheimisch angebauten Kaffeebohnen verwenden, aber der Chef hat keine Anweisung dazu gegeben.
Das gleiche Phänomen in meiner Schule in Quito. Ein Mitarbeiter der Schule hat die Aufgabe, sich unter anderem um die Belange der Schüler, wie Visum, Tour-Vermittlung etc. zu kümmern. Man kann mit ihm sprechen und bitten etwas zu organisieren. Er wird sehr höflich antworten und sagen, dass er sofort damit beginnt.
Praktisch wird er selbst für Kleinigkeiten, wie das Aufbringen einer selbstklebenden Plakette den Vorgesetzten um Erlaubnis bitten und dann erst genau nach seinen Anweisungen reagieren. Ist der Vorgesetzte nicht da, kann er nicht fragen und kann somit nicht arbeiten.
Im ersten Moment denkt man als Europäer, diese Mentalität ist herausfordernd, aber sie hat auch ihre Vorteile. Mitarbeiter sind zu tiefts leujal und würden ihren Vorgesetzten niemals öffentlich kritisieren oder gegen diesen handeln.
Auch schriftliche Anweisungen von Personen oder Institutionen, die man nicht direkt kennt, haben keine Bedeutung.
Bei der Herausgabe meines Fahrzeugs im internationalen Hafen wurden im Vorfeld über Stunden Dokumente ausgefüllt und in den Computer eingegeben. Danach musste ich eine Stunde warten bis das Computersystem aktualisiert war. Vor Ort haben alle Papiere, alle Freigaben im Computersystem nichts geholfen. Weder die Security vom Hafen noch die Mitarbeiter vom Zoll wollten das Fahrzeug herausgeben. Beide Seiten mussten vorher ihren Vorgesetzten telefonisch fragen, ob die Papiere und die Eintragung im Computer richtig sind und sie jetzt das Fahrzeug herausgeben können.
Für den Chef bedeutet dies, jede so kleine Aufgabe sollte klar definiert werden. Größere Aufgaben mit Aufwendungen mehr als 2 Stunden müssen schriftlich fixiert und einzeln besprochen werden.
Ich weiteren muss ich lernen, dass keine ehrliche Meinungsäußerung gegenüber dem Vorgesetzten existiert. Die Schamkultur ist tief verwurzelt. Fragt der Chef seinen Mitarbeiter: „Was halten Sie davon?“ wird dieser immer das Meinungsbild von seinem Chef spiegeln…. Hieraus erwächst auch, dass der Angestellte gegenüber seinem Chef keine Vorschläge oder Empfehlungen geben kann. Ist der Kaffee alle, muss dies der Chef erkennen und zusätzlich den Kauf von neuem Kaffee anordnen.
So ernüchtern diese Erkenntnis ist, ist aber auch wahr: wenn schriftlich fixiert wurde, mit Unterschrift, Stempel und eventuell zusätzlich in Anwesenheit anderer Personen, dass der Mitarbeiter den Kaffeevorrat zu kontrollieren und bei Wert x zu bestellen hat, ist die Wahrscheinlichkeit sehr sehr hoch, das dies auch bei den ungünstigsten Bedingungen unter Einsatz des eigenen Lebens umgesetzt wird.
Armut und immer wieder bittere Armut
Armut, ja ich weiß Armut ist relativ. Ich weiß, die Menschen haben eine Schulausbildung, können auf eine, wenn auch schlechte, medizinische Versorgung zurückgreifen. Sie haben alle ein „Haus“ und dennoch, schäme ich mich für den Reichtum, in dem ich und viele andere leben. Die Älteren, wenn man sie fragt: „sind zufrieden“, aber es ist aus meinem Empfinden eher Resignation. Jüngere leiden unter den Umständen.
Viele können sich nicht vorstellen, einen anderen Weg wie die „Anderen“ zu gehen. Verkauft der Nachbar Bananen, werden sie auch Bananen verkaufen. Hat der Nachbar ein Taxi, werden sie auch ein Taxi haben. Hat der Nachbar ein Restaurant, werden sie auch ein Restaurant mit der gleichen Speisekarte haben.
Besucht man eine Straße mit „Restaurants“ haben alle „Restaurants“ die gleiche Speisekarte, nur eventuell unterschiedliche Preise. Fragen die Kunden im Restaurant nach frisch gepressten Orangensaft, wird der Angestellte dies seinem Chef, vor Scham vor seinem Chef und den Nachbarrestaurant, nicht mitteilen. … denn die haben ja auch keinen Saft, obwohl die Orangen, bedingt durch die Natur, schon fast auf der Straße vorbeirollen.
Gewöhnlich gehen nur Ausländer oder Immigranten mit Geschäften andere Wege.
Die Gedanken vieler sind eingefahren, Ecuador exportiert eine hervorragende Qualität von Kaffee- und Kakaobohnen. Im Geschäft oder an Ausflugszielen für Einheimische und Touristen wird man aber keine oder sehr selten ecuadorianische Schokolade finden, aber dafür zu 90 % Ritter-Sport, Nestle, Kit Kat …und Instand-Kaffee von Nestle und teure Fertigdrinks.